Der Titel Stress weckt sogleich Vorstellungen: Überladene Schreibtische, prallvolle Agenden, drängende Kunden, fordernde Chefs, unzufriedene Familie, vergessene Geburtstage, schlaflose Nächte.
Die Rede ist von Distress, dem übermäßig belastenden und auf Dauer der Gesundheit abträglichen Stress. Dieser Stress aktiviert eine Reihe von Hormonen, welche dem Organismus ermöglichen, die letzten Energien zu verbrennen, was dann eben zum Ausbrennen oder Burnout führt.
Woran man oft nicht denkt, ist die Tatsache, dass auch ein Leben in anscheinender Ruhe ein Stressfaktor sein kann. Dabei spielen innere Einstellungen, Überzeugungen, oder Glaubenssätze, wie ich das gerne nenne, eine entscheidende Rolle.
Glaubenssätze entstehen größtenteils in den ersten Lebensjahren. Meist durch Vorleben oder, etwas unangenehmer, Eintrichtern einer bestimmten Haltung, Einstellung oder Meinung der Eltern oder deren Vertreter. Wenn ich dadurch z.B. überzeugt davon bin, nur dann akzeptiert zu sein, wenn ich Überdurchschnittliches leiste, dann kann eine Zwangspause im Berufsleben ein außerordentlicher Stressfaktor werden, auch wenn ich dadurch eigentlich für eine gewisse Zeit ein ruhiges Leben führen könnte. Dies macht bereits deutlich, dass Ferien und Erholung noch nicht die Lösung für Burnout sind.
Viele können sich auch nicht vorstellen, dass eine Mutter mit zwei, drei Kleinkindern in dieselbe Situation geraten kann und dies nicht einmal selten.
Stress mit fatalen Folgen (gemäß einer SECO-Untersuchung fühlt sich ein Drittel der Erwerbstätigen in der Schweiz häufig oder sehr häufig gestresst!), nämlich das gefürchtete und immer weiter verbreitete Burnout, können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Arbeitsüberlastung ist nur eine aus einer ganzen Reihe.
Einstellungen oder Glaubenssätze, welche ein Mensch mitbringt, sind oft entscheidender! Diese inneren Einstellungen werden dann konfrontiert mit schwierigen äußeren Umständen, nämlich wie menschenfreundlich oder menschenfeindlich sind die Arbeitsumstände? Dazu gehören Unternehmenskultur, Führungsstil, Teamzusammensetzung, der Freiheitsgrad in der Arbeitsgestaltung und die physische Arbeitsumgebung.
Den Freiheitsgrad in der Arbeitsgestaltung möchte ich besonders hervorheben. Sich explosionsartig entwickelnde elektronische Möglichkeiten führen dazu, dass arbeitstechnisch dauernd Neuland erschlossen wird, für das noch wenig Erfahrung besteht.
Beispielsweise hat Microsoft Wien ihre Zentrale baulich neu, mit extrem offenen Grundrissen gestaltet, um eine neue Form des Arbeitens zu begünstigen. Sie nennen diese „My office is where I am“. Es gibt keine eigenen Arbeitsplätze. Es gibt keine festen Arbeitszeiten. Jede und jeder ist von allen andern jederzeit elektronisch erreichbar. Man weiß immer, wie alle gefunden werden können – außer: die betreffende Person will nicht gestört werden und meldet sich ab. Das ermöglicht, im Innenhof bei einer Tasse Kaffee, in einem gebuchten Konferenzraum, zuhause oder unterwegs zu arbeiten, egal. Man weiß immer, wo die betreffende Person erreichbar ist, nämlich elektronisch. Die Arbeitsleistung wird nicht an der abgesessenen Zeit gemessen, sondern am Erfüllen der Aufgaben. Man ist völlig frei, Hilfe in Anspruch zu nehmen und dazu direkt und ohne durch eine Hierarchie bedingte Umwege mit Übersee, USA, China in Kontakt zu treten und dort Informationen anzufordern. Es besteht ein unglaublicher Freiheitsgrad. Dies kann beste Burnout-Prophylaxe sein. Kann…
Natürlich muss man erst lernen, mit so viel Freiheit umzugehen. Man muss auch „nein“ sagen können. Ständige Erreichbarkeit ist höchst belastend und führt zu folgenschweren Begleiterscheinungen. Dies ist aber keinesfalls zwingend, sondern lediglich ein Resultat des falschen Umgangs mit den elektronischen Möglichkeiten, der Digitalisierung und Globalisierung. Auch das will erlernt sein.
Die Absicht, welche hinter der hohen Vernetzung und schnellen Erreichbarkeit steckt, ist ursprünglich nicht die bessere Kontrolle und bessere Ausbeutung von Ressourcen, obwohl sie das ebenfalls ermöglicht. Nein, sie sollte ursprünglich das Leben erleichtern, Zeit sparen, Wege abkürzen oder überflüssig machen, Kunden zufriedener machen. Die Muße, welche wir auf langen Wegen geschenkt bekamen, müssen wir uns heute anders verschaffen. Phantasie ist gefragt, Mut auch, und neue Strategien.
Das Gegenteil dieser Freiheit ist das starre Festhalten an Kompetenzgrenzen, unumstößlich festgelegten Arbeitszeiten, Willkür in der Zuteilung oder dem Vorenthalten bestimmter Arbeiten, lange Listen von Verhaltensvorschriften, die immer wieder erneuert werden unter dem Vorwand, damit die Arbeit zu erleichtern und effizienter zu gestalten. Aber auch klassische Hierarchien mit Stelleninhabern, die durch das Peterprinzip an eine Position gelangt sind, der sie nicht mehr gewachsen sind und dadurch autoritär handeln müssen, anstatt aus natürlicher Autorität. Der Umgang mit solchen Umständen fordert vom Arbeitnehmer eine ganz andere Art von Skills um sie gesund zu überstehen.
Es lohnt sich, anzuschauen wie diese Fähigkeiten beim Einzelnen entdeckt, gefördert und gestärkt werden können. Dass das Aufdecken und Auflösen von hinderlichen Glaubenssätzen selten im Alleingang geschafft wird, sondern eine fachlich qualifizierte Führung braucht, eben Coaching im besten Sinne, ist offensichtlich. Was sich da anbietet, soll im bald folgenden nächsten Artikel aufgezeigt werden.